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Wenn Kinder spielen

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Beitrag von Maximilian Volkholz

Wenn Kinder spielen, spielen sie nicht nur, denn Spielen ist mehr als ein lustvolles kindliches Vergnügen. Es ist Phantasie und Realität zugleich, stellt die klinische Entwicklungspsychologin und Psychotherapeutin Annette Streeck-Fischer fest. Spielen ist ein wichtiger Bestandteil menschlicher Entwicklung, schreibt der Kulturhistoriker Johan Huizinga in seinem berühmt gewordenen Buch Homo Ludens. Spielen ist etwas Ursprüngliches, etwas Natürliches und, so der berühmte britische Kinderarzt und Psychoanalytiker, Donald W. Winnicott, die zentrale Voraussetzung für die Entwicklung eines kulturell eingebundenen Menschens.

Spielen ist aber vor allem die zentrale Tätigkeitsform kindlichen (Er-)Lebens. So scheint kaum verwunderlich, dass dem Spielen auch in der Pädagogik und Therapie zentrale Bedeutung beigemessen wird. Spielen ist der Dreh- und Angelpunkt der pädagogischen und der therapeutischen Situation. Denn in ihm entsteht ein symbolischer Raum, der verschiedene Erfahrungen ermöglicht. Das kindliche Spiel ist gleichwohl eine Art Medium. In den Situationen, die im Spiel und von Kind und Pädagog*in/Therapeut*in gemeinsam erschaffen werden, entstehen Gefühls- und Gedankenwelten, die immer auch Anteile dessen zutage fördern, was Kinder denken, was sie fühlen und erleben.

Das kindliche Spiel wurde von zentralen Autor*innen aus Theorie und Praxis mit historisch gewachsenem Interesse bedacht. Allen voran aus einer psychoanalytischen Tradition heraus. Beispielsweise Hermine Hug-Hellmuth, Anna Freud, Melanie Klein, Jean Piaget oder Donald W. Winnicott. Sie gelten als Wegbereiter*innen der Kindertherapie und prägen bis heute psychologische und pädagogische Verstehenszugänge zur kindlichen Seele. Wenngleich man Spielen sicherlich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann, beispielsweise aus Sicht der Anthropologie, der Soziologie, Ethologie oder Pädagogik, scheint es im für diesen Artikel sinnvoll, den Fokus zunächst auf die entwicklungstheoretischen Gesichtspunkte zu legen: Das Spiel also als eine „fördernde Umwelt“ zu begreifen, in der Kinder reifen und für eine gesunde Entwicklung wichtige Erfahrungen machen können.

Die Versuche das kindliche Spiel irgendwie genau zu spezifizieren, es zu definieren oder zu kategorisieren sind zahlreich. Es folgen einige ausgewählte Beiträge, die zur Rahmung des Begriffs nach wie vor bedeutsam sind. „Es ist keine Übertreibung zu sagen, das Leben des Kindes ist Liebe und Spiel. Ihm hat nur Bedeutung und Wert, was ihm Liebe bringt, was zum Spielen taugt“, formuliert Hug-Hellmuth. Der Stellenwert des Spiels in der Kindheit ist für die Autorin ein vortrefflicher. Sie findet überall dort spielerische Elemente, wo dem Kind ein gewisser Lustgewinn entsteht. Mit Piaget ließe sich einwenden, dass Spielen „einfach funktionelle oder reproduktive Assimilation“ bedeutet. Eine Art Vorübung, innerhalb derer sich organische Funktionen ausdifferenzieren und Verhaltensschemata erproben lassen. Spielen kann man also überall dort ausmachen, wo es um die Entwicklung existenziell wichtiger Funktionen geht. Damit sind vorwiegend motorische, sensorische, kognitive und emotional-soziale Funktionen gemeint, die Kinder durch ein gefahrloses Probehandeln, das Verarbeiten von Erfahrungen und den Ausdruck von Erleben gewissermaßen einüben. Lev Vygotsky betont die Bedeutung des Spiels vor allem für die kognitive Entwicklung. Denn durch die spielerische Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt erlernen Kinder Vorstellungskraft, Kreativität und soziale Fähigkeiten.

Man sollte jedoch nicht zu sehr darauf abheben Spielen als grundsätzlich zweckgebunden zu betrachten, das sich darin erschöpft, etwas im engeren Sinne zu lernen, einzuüben oder Lustgewinn zu produzieren. Es muss bedacht werden, dass Kinder im Spiel nicht ausschließlich lustvolle Situationen erzeugen. Es sind auch immer wieder von Unlust geprägte Reinszenierungen, die im Spiel ihren Platz finden. Spielen lässt sich demzufolge als ein weitestgehend „zweckfreies Experiment“ beschreiben, das Kindern ermöglicht, verschiedene mit der natürlichen Entwicklung verbundene körperliche und psychische Veränderungen zu verarbeiten. Diese vor allem emotional zu integrieren.

Winnicott bemisst die Bedeutung des Spiels noch umfassender. Es sei „das Universale“, zeige das Vorhandensein von Gesundheit an, ermögliche Reifung, führe zu Beziehungen und stelle letztlich die Form der kindlichen Kommunikation mit sich und der Welt dar. Grundlegend, so kann man bis hierhin festhalten, ist mit dem kindlichen Spiel also eine ontogenetische Konstante beschrieben, die einen Rahmen für wichtige Lernprozesse bietet. Es beinhaltet etwas Lustvolles und ist im gleichen Zuge Selbstzweck, Bezugspunkt psychischen Wohlbefindens, von Reifungsprozessen und kommunikatives Mittel.

Spielen hat viele verschiedene Aspekte, die allesamt für die geistige und seelische Entwicklung eines Kindes maßgeblich sind. Es ist der „Motor“ der Entwicklung, bestehend aus schöpferischen und aktiv gestaltenden Kräften. Spielen ist für Kinder Ausdrucks- sowie Bewältigungsmöglichkeit, mit dessen Hilfe sie „innere und äußere Faktoren, wie zum Beispiel Affekte, Wünsche, Ängste oder Konflikte in eine neue Einheit bringen, die die eigene Entwicklung ist“, schreibt die Kinderpsychotherapeutin Barbara Diepold.

Kurzum: Spielen ist das zentrale Moment kindlichen (und jugendlicher) Erlebens und Handelns und muss als unabdingbar für die Entwicklung vieler verschiedener Fähigkeiten angesehen werden. Zum Beispiel: Regulationsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit, Denk- und Lernfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit.

Spielen ist die Grundlage für eine gesunde Psyche und die damit verknüpfte Salutogenese einer jeden Person.

 

Quellen:

  • Anzieu, A. (2006). Die psychoanalytische Technik beim Kind. In A. Anzieu, C. Anzieu-Premmereur & S. Daymas, Das Spiel in der Kinderpsychotherapie. Edition diskord.
  • Anzieu, A., Anzieu-Premmereur, C. & Daymas, S. (2006). Das Spiel in der Kinderpsychotherapie. Edition diskord.
  • Diepold, B. (1997). Zum Spielraum zwischen Narzissmus und Triebdynamik. Kinderanalye, 5(4), 370—383.
  • Freud, A. (1927). Einführung in die Technik der Kinderanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
  • Huizinga, J. (2011). Homo Ludens. Rowohlt.
  • Kallenbach, G. (2014). Begleitende Elternarbeit in der psychodynamischen Kindertherapie. Psychosozial.
  • Klein, M. (1932). Die Psychoanalyse des Kindes. Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
  • Langnickel, R. (2021). Prolegomena zur Pädagogik des gespaltenen Subjekts. Barbara Budrich.
  • Lehmhaus, D. & Reiffen-Züger, B. (2018). Spiel und Spielen in der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Kohlhammer.
  • Streeck-Fischer, A. (2009). Spiel ist Kommunikation — zum Verständnis des Spiels aus entwicklungspsychologischer und -pathologischer Sicht. In M. Kögler (Hrsg.), Möglichkeitsräume in der analytischen Psychotherapie. Psychosozial.
  • Traxl, B. (2018). Spielräume der Entwicklung — Einführende Bemerkungen zur Rolle des Spiels im Kontext von Kindheit, Pädagogik und psychodynamischer Psychotherapie. In B. Traxl (Hrsg.), Psychodynamik im Spiel. Brandes & Apsel.
  • Vygotsky, L. S. (1978). Mind in society: The development of higher psychological processes. Harvard University Press.
  • Winnicott, D. W. (2020). Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Psychosozial.
  • Winnicott, D. W. (2022). Vom Spiel zur Kreativität. Klett-Cotta.

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