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Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen: Früh erkennen, kompetent begleiten
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  Beitrag von Jacqueline Baruschke
Digitale Medien sind heute fester Bestandteil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Ob Smartphone, Konsole oder Streaming – der Alltag ist durchzogen von medialen Angeboten. Für viele junge Menschen gehören Chats, Spiele oder soziale Netzwerke zur täglichen Routine. Gleichzeitig häufen sich die Sorgen über übermäßigen Konsum und dessen Auswirkungen. Doch wo endet gesunder Mediengebrauch – und wo beginnt Suchtverhalten? Und wie können pädagogische Fachkräfte sensibel und kompetent darauf reagieren?
Was genau ist Mediensucht?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mit der Einführung der ICD-11 wichtige Impulse gesetzt: Die sogenannte „Computerspielstörung“ zählt nun offiziell zu den Verhaltenssüchten. Typisch für eine medienbezogene Störung ist der Kontrollverlust über das Nutzungsverhalten, die Vernachlässigung sozialer, schulischer oder körperlicher Bedürfnisse sowie das Fortsetzen der Nutzung trotz negativer Konsequenzen. Wenn diese Muster über längere Zeit bestehen und zu Leidensdruck führen, liegt eine behandlungsbedürftige Störung vor.
Neben der exzessiven Nutzung von Games rücken auch soziale Netzwerke stärker in den Fokus. Plattformen wie TikTok, Instagram oder Snapchat entfalten bei Jugendlichen ein hohes Suchtpotenzial – durch ständige Reize, Belohnungssysteme und die Angst, etwas zu verpassen.
Aktuelle Zahlen: Was sagen KIM- und JIM-Studie?
Die beiden bundesweiten Studienreihen KIM (Kindheit, Internet, Medien) und JIM (Jugend, Information, Medien) liefern regelmäßig verlässliche Daten zur Mediennutzung. Sie zeigen deutlich: Der Medienkonsum beginnt früh – und steigt mit dem Alter rapide an.
So nutzen laut KIM-Studie bereits Kinder zwischen 6 und 13 Jahren täglich rund 43 Minuten das Internet – Tendenz steigend. Bei Jugendlichen liegt die Nutzungsdauer für digitale Spiele an Wochentagen durchschnittlich bei über 90 Minuten. Jungen verbringen sogar fast doppelt so viel Zeit wie Mädchen. Beliebte Inhalte sind neben Spielen wie Minecraft oder Fortnite vor allem Plattformen wie WhatsApp, Instagram und TikTok.
Besonders alarmierend: Viele Kinder und Jugendliche geben an, Medien zu nutzen, wenn sie sich langweilen oder einsam fühlen – erst danach folgen Gründe wie Spaß oder Interesse. Digitale Medien übernehmen hier zunehmend die Rolle der emotionalen Regulation.
Wenn Medien zur Flucht werden – Folgen für die Entwicklung
Ein unreflektierter, intensiver Medienkonsum kann weitreichende Auswirkungen haben. Wer regelmäßig virtuelle Welten nutzt, um Stress oder Frust zu kompensieren, verpasst wichtige Lernfelder in der emotionalen Entwicklung. Kinder müssen lernen, mit eigenen Gefühlen umzugehen – ohne ständige Ablenkung durch Bildschirme.
Dauerhafte Übernutzung kann zudem das soziale Verhalten verändern: Die Empathie-Fähigkeit nimmt ab, die Selbstwahrnehmung wird schwächer, Reize werden weniger differenziert wahrgenommen. Wer gewaltverherrlichende Inhalte konsumiert, kann Gewalt mit positiven Gefühlen verknüpfen – ein gefährlicher Mechanismus, der langfristig die Beziehung zu anderen Menschen stören kann.
Auch körperlich zeigen sich Folgen: Schlafprobleme, Bewegungsmangel, Verspannungen oder Erschöpfung sind keine Seltenheit. Und nicht zuletzt leidet die schulische Leistungsfähigkeit, wenn Konzentration und Motivation durch Bildschirmzeit beeinträchtigt werden.
Die Rolle pädagogischer Fachkräfte
Pädagogische Fachkräfte nehmen eine zentrale Rolle ein, wenn es darum geht, Mediensucht frühzeitig zu erkennen und präventiv gegenzusteuern. Sie sind häufig diejenigen, die erste Verhaltensveränderungen bei Kindern und Jugendlichen bemerken – etwa, wenn sich Schüler*innen zunehmend zurückziehen, weniger kontaktfreudig sind oder Konzentrationsprobleme zeigen. Gerade im pädagogischen Alltag lassen sich solche Hinweise früh erkennen und einordnen.
Darüber hinaus tragen Fachkräfte entscheidend zur Aufklärung bei. Sie können nicht nur mit Kindern und Jugendlichen über deren Medienverhalten ins Gespräch kommen, sondern auch Eltern sensibilisieren und ihnen Handlungsoptionen aufzeigen. Durch Gespräche über Mediennutzung, Risiken und gesunde Alternativen helfen sie dabei, ein Bewusstsein für problematische Entwicklungen zu schaffen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die aktive Gestaltung von Ausgleichsmöglichkeiten. Pädagogische Fachkräfte haben die Chance, durch kreative und bewegungsorientierte Angebote echte Alternativen zur Bildschirmzeit zu bieten. Ob gemeinsames Spielen, kreative Projekte oder analoge Gruppenangebote – solche Erfahrungen stärken die sozialen Kompetenzen und bieten Raum für echte Verbindung.
Nicht zuletzt kommt der Zusammenarbeit mit den Eltern eine große Bedeutung zu. In einem vertrauensvollen Austausch können gemeinsam Regeln für die Mediennutzung entwickelt und individuelle Lösungen gefunden werden, die das Kind in seiner Entwicklung unterstützen. Fachkräfte agieren hier als wertvolle Brücke zwischen Lebenswelt, Erziehungsalltag und pädagogischer Haltung.
Chancen digitaler Medien – und ihre Grenzen
Digitale Angebote sind nicht per se problematisch. Im Gegenteil: Richtig eingesetzt fördern sie Kreativität, technische Kompetenz, Informationszugang und soziale Teilhabe. Kinder können durch Lern-Apps, altersgerechte Spiele oder gemeinsame Medienprojekte wichtige Fähigkeiten entwickeln.
Entscheidend ist jedoch, dass der Umgang mit digitalen Medien bewusst und begleitet erfolgt. Ohne klare Regeln und Orientierung droht die Balance zu kippen. Genau hier setzt Medienkompetenz an – also die Fähigkeit, digitale Inhalte sinnvoll zu nutzen, kritisch zu hinterfragen und eigene Grenzen zu erkennen.
Was hilft? Tipps für den Alltag
• Feste Medienzeiten und klare Regeln vereinbaren
• Bildschirmfreie Zonen schaffen – z. B. beim Essen oder vor dem Schlafen
• Gespräche über Lieblingsspiele und Apps führen
• Analoge Alternativen anbieten: Bewegung, Kreativität, Natur
• Eigene Vorbildrolle reflektieren: Wie gehe ich selbst mit Medien um?
• Keine Medien unter 3 Jahren, kein Handy vor 13 Jahren
Bei Sorgen: Nicht allein bleiben
Wenn der Verdacht besteht, dass ein Kind medienabhängig ist, sollten pädagogische Fachkräfte das Thema nicht tabuisieren. Erste Anlaufstellen bieten Beratungen, Aufklärungsmaterialien und konkrete Hilfestellungen – sowohl für Fachkräfte als auch für betroffene Familien.
Empfohlene Anlaufstellen:
• return-to-reality.de – Fachstelle Mediensucht
• Teen Spirit Island – Klinik für Jugendliche mit Mediensucht
• Regionale Suchtberatungsstellen oder Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste
Fazit: Digitale Medien gehören zur Lebenswelt junger Menschen – das ist nicht neu. Entscheidend ist jedoch, wie wir als Erwachsene damit umgehen. Pädagogische Fachkräfte haben hier einen Schlüssel in der Hand: durch Beobachtung, Aufklärung, Beziehung und klare Haltungen. Mediensucht beginnt oft schleichend – doch mit der richtigen Haltung kann man ihr frühzeitig begegnen.
Quellen:
- KIM, 2022
- JIM, 2023
- Möller, C. (Ed.), & Fischer, F. M. (Ed.). (2023). Internet- und Computersucht : ein Praxishandbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern (3., erweiterte und überarbeitete Auflage). Verlag W. Kohlhammer.
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin et al., 2023, AWMF Leitlinie zur Prävention dysregulierter Bildschirmnutzung